Koalitionsverhandlungen in Hessen – offener Brief an CDU und SPD

Sehr geehrte Politiker*innen der CDU Hessen, Sehr geehrte Politiker*innen der SPD Hessen,

Mit großer Sorge nehmen wir die Entwicklungen im Anschluss an die jüngste Hessenwahl zur Kenntnis. Die Aussagen im Sondierungspapier der CDU und SPD sowie die Äußerungen des Ministerpräsidenten Boris Rhein zur „Überrepräsentation“ von Minderheiten sind besorgniserregend. Sie signalisieren einen Rückschritt in der Anerkennung und im Schutz von Minderheiten, zu denen auch unsere queere Gemeinschaft zählt. Diese umfasst Menschen, die lesbisch, schwul, bisexuell, trans, inter, nicht-binär und/oder queer sind.

Besonders alarmierend ist der geplante Beschluss, sich im Bundesrat für die Erweiterung der Liste der „sicheren Herkunftsländer“ einzusetzen. Bereits auf Bundesebene hat die SPD “einer sorglosen Erweiterung von sicheren Herkunftsstaaten” eigentlich vor wenigen Wochen eine Absage erteilt, da es “immer mehr Länder, die nicht sicher sind” gebe. Eine Erweiterung stellt eine direkte Bedrohung für queere Geflüchtete dar, deren Sicherheit und Leben in vielen Ländern aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität gefährdet sind. Dieser Schritt würde das Asylrecht für viele Menschen, die Schutz vor Verfolgung suchen, erheblich erschweren. Die dabei relevante “Stellungnahme zum Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Bestimmung Georgiens und der Republik Moldau als sichere Herkunftsstaaten” vom LSVD, die wir als Verein ebenfalls mit signiert haben, wollen wir dabei in Erinnerung rufen.

Ebenso problematisch sehen wir die Ankündigung, die Verwendung geschlechtergerechter Sprache mit Sonderzeichen in staatlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen zu verbieten. Dies ist nicht nur ein Angriff auf die Sprachfreiheit. Es ist auch ein Zeichen dafür, dass die Anerkennung und Sichtbarkeit von weiblichen, sowie nicht-binären und trans* Personen in unserer Gesellschaft weiterhin marginalisiert werden sollen. Eine solche Beschränkung durch eine Landesregierung, die erstmals auch den öffentlich-rechtlichen Journalismus betreffen würde, wäre ein Novum in Deutschland.

Die bisherige Vernachlässigung queerer Themen im Sondierungspapier von CDU und SPD und die Äußerungen zur “Überrepräsentation” von Minderheiten werfen Bedenken auf, ob die künftige Landesregierung die Bedürfnisse und Rechte von Minderheiten in unserer Gesellschaft weiterhin schützen und garantieren möchte. Im Wissen, dass es sich bei diesem Papier um ein erstes Rahmenwerk handelt, möchten wir die Wichtigkeit dafür betonen, dass die endgültigen Verhandlungsergebnisse eine umfassendere Berücksichtigung unserer zuvor klar kommunizierten Forderungen zur Landtagswahl enthalten müssen. Während die CDU diesen größtenteils ablehnend gegenüberstand, signalisierte die SPD in vielen Punkten Unterstützung – genau daran werden wir sie messen. Wir erwarten, dass unsere Anliegen adäquat reflektiert werden. Dies ist entscheidend, um den Werten einer offenen, demokratischen und vielfältigen Gesellschaft gerecht zu werden, für die wir uns stark machen und die auch Hessen in den vergangenen Jahren als Bereicherung verstand.

Wir appellieren daher an Sie, diese Entscheidungen und Aussagen zu überdenken und sich für die Rechte und den Schutz aller Menschen in Hessen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, Geschlechtsidentität oder Herkunft, einzusetzen. Wir appellieren an Sie, den derzeitigen rauen Umgangston zu beenden und stattdessen zu einem konstruktiven, inklusiven Dialog mit Vertreter*innen der queeren Gemeinschaft sowie weiteren Minderheiten zurückzukehren. Ziel sollte es sein, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, die die Vielfalt unserer Gesellschaft wertschätzen und angemessen berücksichtigen.

Mit freundlichen Grüßen