1. September 2023

Stellungnahme des Queeren Zentrums Wiesbaden e.V. zum Regierungsentwurf des SBGG

Anlässlich des zum 23.08.2023 veröffentlichten Regierungsentwurfs des SBGG, des sogenannten Selbstbestimmungsgesetzes und der darin enthaltenen fragwürdigen Paragraphen sehen wir vom Queeren Zentrum Wiesbaden e.V. die Notwendigkeit, Stellung zu beziehen. Besonders stechend sind hierbei jene Paragraphen, die ausdrückliches Misstrauen und Generalverdacht gegenüber trans*, inter* und nichtbinären Personen ausdrücken und damit rechtspopulistische Forderungen und Interpretationen bedienen. 

Im Folgenden benennen wir diese Paragraphen und gehen darauf ein, warum sie für trans*, inter* und nichtbinäre Menschen negativ sind und/oder diese Personengruppen stigmatisieren. Diese kritische Abhandlung dient dazu, einen Überblick über die Kritikpunkte zu vermitteln und ist weder abschließend noch erhebt sie einen Anspruch auf Vollständigkeit.

Wir orientieren uns dabei an diversen anderen Stellungnahmen, u.a. an bisherigen Kritiken am Regierungsentwurf (und am vorherigen Referentenentwurf) durch Verbände und Fachgemeinschaften, sowie dem Informationstext der Petition, die die Änderungen jener Paragraphen fordert (jazuselbstbestimmung). Interessierten Menschen empfehlen wir, diese Petition zu lesen und aktiv zu unterstützen.

§ 3: Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren benötigen im Entwurf die Zustimmung der Elternteile um ihren Personenstand ändern zu dürfen. Dies schränkt ihre geschlechtliche Selbstbestimmung unverhältnismäßig ein, da aus einem Personenstandswechsel keine schweren oder irreversiblen Folgen drohen. Jugendliche ab 14 Jahre sind straf- und religionsmündig, daher ist ihnen entsprechend auch zumutbar eigenständig über ihre geschlechtliche Identität zu entscheiden.

§4: Die Änderungen von Geschlechtseintrag und Vornamen müssen drei Monate vorher beim Standesamt angemeldet werden. Das ist eine nicht notwendige Hürde, die bei anderen (weitaus folgenreicheren) Verfahren im Rahmen des BGB oder PStG nicht angesetzt wird. Dadurch wird suggeriert, dass trans*, inter* und nichtbinäre Personen eine Personenstandsänderung unüberlegt durchführen und diese bereuen würden. Wer Geschlechtseintrag und Vornamen bisher nach Paragraf 45b PStG (Personenstandsgesetz) sofort ändern konnte, erfährt sogar eine rechtliche Verschlechterung, da hierbei bisher keine Wartezeit angesetzt war. 

§ 6 Abs. 2: Juristisch gesehen ist die im Absatz festgehaltene „Klarstellung“ zum Hausrecht und zur Vertragsfreiheit für das Selbstbestimmungsgesetz unnötig. Zudem hat auch die Vertragsfreiheit Grenzen, etwa im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, worauf im Gesetzestext nicht weiter hingewiesen wird. Der Absatz lädt aber zu Ausschluss von trans* Personen aus geschlechtsspezifischen Räumen geradezu ein, dies wird voraussichtlich vor allem trans*weibliche Personen treffen und zu vermehrter Diskriminierung führen. 

§ 6 Abs. 3: Sportliche Leistungen sollen laut Entwurf unabhängig vom aktuellen Geschlechtseintrag geregelt werden können. Diese Regelung hat das Risiko, die diskriminierende Annahme des Wettbewerbsvorteils von trans* Personen zu legitimieren und gesetzlich zu zementieren. 

§ 9: Im unmittelbaren Spannungs- oder Verteidigungsfall soll es für den Dienst an der Waffe keine Rolle spielen, wenn ein männlicher Geschlechtseintrag bis zu zwei Monate vorher geändert wurde. Verfassungsrechtlich ist es schwierig, ein Selbstbestimmungsrecht im Spannungs- und Verteidigungsfall zurücktreten zu lassen. Zudem gibt es für Menschen, welche die Wehrpflicht in diesem Fall nicht antreten möchten, bereits die Möglichkeit den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern, was die Begründung für diesen Paragraphen noch weiter schwächt.

§ 13 Offenbarungsverbot: Die im Entwurf enthaltenen Lücken im Offenbarungsverbot müssen geschlossen werden, um es wirklich zu stärken und trans*, inter* und nichtbinäre Menschen vor Zwangsoutings zu schützen. Die Ausnahmen vom Offenbarungsverbot für Angehörige gem. § 13 Abs. 2 sollten hierbei auf die Fälle eines schützenswerten Interesses beschränkt werden. Es gibt keine nachvollziehbare Begründung, warum es direkten Angehörigen unabhängig von einem besonderen Interesse pauschal freistehen soll, die Änderung von Vornamen und/oder Geschlechtseintrag einem beliebigen Empfänger*innenkreis mitzuteilen. Dies verstärkt lediglich die bereits existierenden Muster von familiärer Gewalt und Übergriffigkeit gegenüber trans*, inter* und nichtbinären Menschen. 

§ 13, Abs. 5: Die für Polizei und Sicherheitsbehörden neu eingeführten Ausnahmen beim Offenbarungsverbot sind ebenfalls sehr fragwürdig. Die Information darüber, wer Namen und Geschlechtseintrag ändern lässt, wird laut Entwurf an eine Vielzahl von Sicherheitsbehörden übermittelt – unabhängig davon, ob diese Personen bereits mit den Behörden Kontakt hatten. Dies ist vergleichbar mit einem Generalverdacht. Ausnahmen aus sicherheitspolitischen Gründen dürfen das Offenbarungsverbot nicht unverhältnismäßig einschränken.

§ 14 Bußgeldvorschrift Offenbarungsverbot:  Die Vorschrift sollte im Sinne eines umfassenden Schutzes weiter gefasst werden: Statt einer Schädigungsabsicht muss bereits Fahrlässigkeit genügen. Außerdem darf neben der mit jeder Offenbarung bewirkten Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kein zusätzlicher materieller oder immaterieller Schaden erforderlich sein, da dies das Offenbarungsverbot im Falle eines Verstoßes nur sehr schwer anwendbar werden lässt.

Fazit:

Prinzipiell ist ein Selbstbestimmungsgesetz, welches weg vom in vielen Teilen verfassungswidrigem TSG geht, zu begrüßen, besonders die Möglichkeit für trans*, inter* und nichtbinäre Menschen ihr Geschlecht möglichst unbürokratisch selbstbestimmt eintragen zu lassen. Dies ist eine klare Verbesserung gegenüber der bisherigen Gesetzeslage, die u.a. Fremdbegutachtungen, Gerichtsverfahren, lange Wartezeiten und hohe Kosten mit sich brachte. Eine solche Verbesserung der Rechtslage von trans*, inter* und nichtbinären Menschen ist längst überfällig.

Wie allerdings anhand der aufgeführten Kritikpunkte klar erkennbar ist, ist das SBGG im aktuellen Entwurf (Stand 23.08.2023) an vielen Punkten noch klar verbesserungsbedürftig, um tatsächlich eine geschlechtliche Selbstbestimmung und einen respektvollen Umgang mit dieser marginalisierten Personengruppe hervorzubringen. Wir bitten daher alle Menschen innerhalb und außerhalb der Community sich mit trans*, inter* und nichtbinären Menschen zu solidarisieren und gemeinsam dafür einzustehen, dass auch diese Menschen die (Menschen)-Rechte zugesprochen bekommen, die ihnen zustehen. Teilt und unterstützt die Petition, sprecht euch für die Rechte von queeren Menschen aus, informiert und sensibilisiert euer Umfeld wo es geht und steht gemeinsam mit uns für Gleichberechtigung ein.

Bunt verbleibt,

Euer Queeres Zentrum Wiesbaden e.V.

Verpasse keine Infos

Über unseren Vereinsnewsletter sowie unseren Presseverteiler versenden wir in unregelmäßigen Abständen Informationen zu Veranstaltungen, Angeboten und Neuigkeiten aus dem Queeren Zentrum per Mail.

Die Anmeldung konnte nicht gespeichert werden. Bitte versuche es erneut.
Deine Anmeldung war erfolgreich.